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Die höchste Eisenbahnbrücke der Welt aus der Luft gesehen © Indian Railways Civil Engineering Portal

Die höchste Eisenbahnbrücke der Welt

Seit 2022 kämpft sich von Indien eine Bahnlinie durch das Pir Panjal ins Kashmir. Auf ihren Weg liegt die höchste Eisenbahnbrücke der Welt über die bodenlose Chenab-Schlucht

Der indische Teil des Kashmir liegt, vom restlichen Indien durch den mächtigen Höhenzug des Pir Panjal getrennt, abgeschieden in einem Talkessel. So hatte, um die Region im vorderen Himalaya besser zu erschließen, bereits 1994 der damalige Eisenbahnminister Jaffer Sharief den Bau einer Bahnlinie von Baramulla im Nordwesten des Tals nach Qazigund im Südosten gefordert. Was er damals nicht zu fordern wagte war die eigentlich viel wünschenswertere Fortführung der Strecke in Richtung Süden bis nach Jammu, dem damals nördlichsten Punkt des indischen Bahnnetzes. Das hätte letztlich nichts weniger erfordert, als ein Weltrekord-Bauwerk – die höchste Eisenbahnbrücke der Welt – zu errichten.

Aufgrund der zu erwartenden Schwierigkeiten an der Südflanke des Pir Panjal galt das aber als nahezu aussichtsloses Unterfangen. Insbesondere an einer Stelle würde eine Streckenverlängerung auf geradezu unüberwindbare Widerstände stoßen: beim Brückenschlag über den mächtigen Chenab. Zwar begannen in der Folge, bis die Evidenz dieses Umstands unumstößlich auf der Hand lag, zunächst die Arbeiten am nördlichen Teil der Strecke, nach Gewahrwerdung der wirklichen Herausforderungen stoppten die Verantwortlichen dann aber die gesamte Baumaßnahme. Damit lag die Anbindung des Kashmirtals an das Netz der Staatsbahn erst einmal auf Eis.

Bahnbau mit strategischer Bedeutung

Baggerarbeiten am Steilhang
Trassierung der Bahnstrecke im äußerst anspruchsvollen Gelände des Pir Panjal © Skyscrapercity

Das blieb so, bis fünf Jahre später im Frühjahr bewaffnete Einheiten von pakistanisch kontrolliertem auf indisches Territorium vorstießen und im Winter unbemannte Bergstellungen der indischen Armee besetzten (Link: Wikipedia). Bei der daraufhin gestarteten indischen Gegenoffensive und dem daraus resultierenden Kargil-Krieg offenbarten sich anfangs erhebliche Probleme bei der Aufrechterhaltung der Nachschub- und Aufmarschrouten, was unter Premierminister Atal Bihari Vajpayee zu einer grundsätzlichen Neubewertung des Bahnbaus und damit zu seiner Einstufung als Projekt von nationaler Relevanz führte.

Das hatte zu Folge, dass die nötigen Planungen von nun an zügig voranschritten. Nur drei Jahre später reichte das Streckennetz der Indischen Staatsbahn schon eine erste Etappe weiter Richtung Norden nach Udhampur. Anfang 2009 war man dann auch im Kashmirtal soweit: Die Züge der indischen Staatsbahn nahmen den Pendelbetrieb zwischen Quazigund und Baramulla auf. Weitere Teil­abschnitte in Richtung Süden, wie etwa der 11,21 Kilometer lange Banihal-Tunnel, ver­­zeichneten zu diesem Zeitpunkt bereits einen beachtlichen Baufortschritt. Die nach Fertigstellung dieser und weiterer Teiletappen verblei­bende Lücke schmolz binnen kür­­zester Zeit auf eine Strecke von 111 Kilo­metern (zwischen Katra und Banihal) zusammen. Die allerdings betrafen den mit Abstand schwierigsten Abschnitt des gesamten Bahnprojekts.

Schwierige geologische Bedingungen

Die Erklärung dafür ist vor allem in den äußerst herausfordernden geologischen Bedingungen der Region zu suchen. Als vergleichsweise junge Formation hält das Pir Panjal als Ausläufer des Himalaya nämlich zahlreiche böse Überraschungen bereit. Der Untergrund ist geprägt von einem chaotischen Mix höchst variabler Schichten. Er reicht von eher weichem Sandstein über teilweise harten oder stark verwitterten Schiefer, bis hin zu mit Geröll durch­­setzten Böden mit einem enorm hohen Anteil feinkörnigen Materials. Hänge und und Böschungen sind daher teilweise derart instabil, dass es im Zusammenspiel mit den oftmals heftigen Regenfällen in der Region regelmäßig zu schweren Erdrutschen kommt.

Ohne aufwändige Sicherungsmaßnahmen unter großflächigem Einsatz von Geogittern oder verdichteten, grobkörnigen Deck­schichten war nicht an das Anlegen von Zufahrts­­straßen oder die Errichtung von Fundamen­­­ten für Brückenpfeiler und Widerlager zu denken – zumal, wenn sie als Unterkonstruktion für die höchste Eisenbahnbrücke der Welt dienen würden. Zugleich diktierten die Bodenbeschaffenheiten vielerorts den Bau von Brücken mit ungewöhnlich großen Spannweiten, um Pfeiler in Talsenken statt auf instabilen Hängen zu gründen. Das zerklüftete, aufgrund seines überaus dichten Bewuchses zuvor kaum präzise erfasste Geländerelief – von tiefen Schluchten und steil aufragenden Kämmen gezeichnet – tat ein Übriges.

Und als ob das nicht bereits gereicht hätte, durchzieht die Region die 200 Kilometer breite Bruchzone zwischen der indischen und der eurasischen Kontinentalplatte. Dies hat eine hohe seismische Aktivität und Erdstöße von nicht selten bis hin zur Stärke V auf der Richterskala zur Folge. Da fiel es kaum noch ins Gewicht, dass die besonders exponierten Brückenbauten auf dem Abschnitt zudem auch noch gegen extrem hohe Windgeschwindigkeiten gewappnet werden mussten.

Brückenbau gegen jeden Widerstand

Chenab-Schlucht ohne Brücke
Vor Wiederaufnahme der Bauarbeiten: Auf der westlichen Hangseite die bereits fertiggestellten Betonpfeiler der Vorlandbrücke CC Wikipedia

Ein großes Problem war zudem das völlige Fehlen jeglicher Infrastruktur. Weite Landstriche sind bis heute nahezu unbewohnt. Oft gab es nicht einmal Trampelpfade, geschweige denn brauchbare Zufahrtswege durch den dichten Urwald. Aus diesem Grund kämpfte sich das Vorauskommando für den Bau der Chenab-Brücke und anderer Kunstbauten auf Ponys durch das Gebiet, um die Camps für Arbeiter zu errichten und Vermessungsarbeiten und Bodenerkundungen durchzuführen. An Strom und Wasser war dabei nicht im Geringsten zu denken.

Die Gesamtheit dieser Faktoren war also durchaus geeignet, die Konstrukteure in echte Bedrängnis zu bringen. Eine Herausforderung allererster Güte würden vor allem die beiden großen Brücken des Streckenabschnitts darstellen, die 657 Meter lange Anji-Khad-Brücke sowie umso mehr der Brückenschlag über den Chenab zwischen Bakkal and Kauri, bei dem die Gleise über einen in etwa 1.350 Meter langen Kunstbau geführt werden mussten.

Grundlegende Parameter: Die höchste Eisenbahnbücke der Welt

Im Hinblick auf den letzteren Bau mussten die Ingenieure überdies zunächst der bestgeeignete Brückentyp bestimmen. Umfangreiche Überlegungen, die nicht nur statische und geologische Faktoren, sondern etwa auch die zu erwartenden Kosten, die Verfügbarkeit von Baumaterialien sowie ästhetische Fragen in Betracht zogen, gipfelten schließlich in der Erkenntnis, für die größte Eisenbahnbrücke der Welt zur Querung der Schlucht wäre eine Ausführung als Bogenbrücke die beste Wahl.

Weil allerdings die Bahntrasse in Katra bereits eine effektive Höhe von 812 Metern über dem Meeresspiegel erreicht hatte und zum Erreichen der folgenden Stationen notwendigerweise weiter ansteigen würde, war eine Passage der Chenab-Schlucht nur auf einem Niveau von ungefähr 360 Metern über dem Talgrund möglich. Daraus ergab sich an der Idealposition für einen Brückenschlag eine erforderliche Spannweite der Bogens von knapp 500 Metern!

Weitere Konkretisierungen der lichten Maße des Bau­werks konnten allerdings erst nach einer genauen Positionierung ihrer Fundamente erfolgen. Diese wiederum war aber davon erweisen, wie die Ingenieure die geologischen Probleme in der Griff bekommen würden.

Naturgewalten als bestimmende Einflussgrößen

Betonpfeiler der Vorlandbrücke auf Kauri-Seite
Blick über die bereits 2007 fertiggestellten Betonpfeiler der Vorlandbrücke auf der westlichen Seite der Schlucht © Tekla

Dessen ungeachtet flossen andererseits alle weiteren bestimmenden Faktoren bereits in das technische Design des Bauwerks ein. Mit an erster Stelle standen dabei die auf Höhe des geplanten Querung regelmäßig auftretenden extrem starken Winde, die so weit im Landesinneren zum Teil abnormale Geschwindigkeiten erreichen. Das mit den Entwurfsarbeiten beauftragte Ingenieurbüro Leonhardt, Andrä und Partner strengte daher beim norwegischen Spezialisten Force Technology umfangreiche Versuchsreihen im Windkanal an, die nicht nur eine maßstabsgetreue Nachbildung der Brücke selbst, sondern auch den genauen Querschnitt der Chenab-Schlucht auf Höhe der Querung in das Test-Setting einbezogen.

Letztendlich zeigte sich dabei, dass die Chenab-Brücke (zumindest 3 Sekunden lang) Windgeschwindigkeiten von bis zu 266 Kilometern in der Stunde würde standhalten müssen. Die Analyse des dabei auf das Bauwerk ausgeübten Winddrucks legte nahe, die Bogenkonstruktion der Brücke nach ihrer Fertigstellung durch eine Füllung mit Beton weiter zu versteifen und so einer Schwingungsneigung entgegenzuwirken. Für den Zugbetrieb auf der Brücke wurde als Grenzwert eine Windgeschwindigkeit von 90 Kilometern in der Stunde ermittelt. Ein automatisches Signalsystem an beiden Enden der Brücke sorgt dafür, dass die Bogenbrücke bei Überschreiten des Grenzwerts nicht mehr befahren wird.

Auch die in der Region allgegenwärtige Erdbebengefahr zog detaillierte Untersuchungen des Indischen Instituts für Technologie nach sich. Unterm Strich verständigten sich die Experten auf die Forderung, die Chenab-Brücke müsse Erdstößen bis zur Stärke VIII auf der Richterskala standhalten. Das erforderte spezielle Vorkehrungen sowohl bei den Fundamenten als auch bei den Lagern, auf denen die Bogenbrücke (sowie die Vorlandbrücken auf Betonpfeilern) ruhen. Insbesondere die von den für seismische Aktivitäten typischen Horizontalschwingungen induzierten Auftriebseffekte erforderten teilweise exorbitant große Fundamente.

Schutz gegen Terroranschläge

Leidiger Teil des Geschichte des Kashmirtals seit seiner Zugehörigkeit zu Indien ist auch die kontinuierlich bestehende Bedrohung durch paramilitärische Einheiten und terroristische Aktivitäten – für die die größte Eisenbahnbrücke der Welt ein bevorzugtes Ziel abgeben würde. Eine mögliche Bedrohung des Bauwerks insbesondere durch Sprengstoffanschläge musste daher in der Konstruktionsphase ebenfalls in Betracht gezogen werden. Hier hatte die indische Defence Research and Development Organisation (DRDO) ein Wörtchen mitzureden.

Der Forderungskatalog des Instituts hatte weit­reichende Folgen: Die Stahlkonstruktion des Bogens, so die Spezia­listen, müsste zumindest der Explosivkraft von 40 Kilogramm TNT widerstehen. Die Fundamente sollten gar mit der geballten Kraft von 100 Kilogramm TNT klarkommen. Bei Letzteren war diese Forderung quasi bereits durch die Erdbebenvorsorge gegeben.

Bei der Stahlkonstruktion hingegen machte das die Verwendung von besonders zähen, 63 Millimeter starken Stahltafeln sowie die Realisierung einer erhöhten Redundanz der Konstruktion nötig. Überdies verlangte ein letzter Aspekt hinreichende Berücksichtigung: Im Winter kann es im südlichen Himalaya empfindlich kalt werden: Exponierte Bauwerke wie die Chenab-Brücke müssen sich dabei Minus-Temperaturen von gut und gern 20 Grad Celsius stellen. Das zum Beispiel machte die Realisierung des Bau­­werks als reine Betonkons­truktion unmöglich.

Eine Brücke, die sich sehen lassen kann

Planzeichnung der höchsten Eisenbahnbrücke der Welt
Auf beiden Seiten der Schlucht liegt der Standort der Hauptpylone hinter den Fußpunkten des Bogens – daher liegt die Länge der Hauptbrücke über der Spannweite des Bogens © Tekla

Zusammengenommen führten all diese höchst vielfältigen Einflussgrößen zu einem Brückendesign, bei dem der Bogen durch zwei Rippen gebildet wird, die ihrerseits aus jeweils einem Ober- und einem Untergurt bestehen. Diese  wiederum sind durch diagonale Stäbe miteinander verbunden. Alle vier Gurte sind als versiegelte, 800 x 800 mm große Stahlkästen ausgeführt, die innen mit Beton gefüllt sind. Diese Maßnahme versprach nicht nur eine deutliche Reduzierung von Torsionsschwingungen infolge eines horizontalen Windangriffs, sondern auch den Verzicht auf einen Innenanstrich.

Etliche Jahre waren im Laufe der Entwurfsarbeiten für den gigantischen Brückenschlag über die Chenab-Schlucht ins Land gegangen und zahlreiche Vorleistungen, wie etwa die Pfeiler der westlichen Vorlandbrücke, bereits fertiggestellt worden. Dann aber waren sämtliche Arbeiten an dem enorm herausfordernden Abschnitts Katra-Banihal gestoppt worden. Hauptgrund dafür waren Bedenken, die größte Eisenbahnbrücke der Welt könne in der Schlucht möglicherweise keinen ausreichenden Halt finden. Eine von diesen Bedenken getriebene Ausarbeitung einer Alternativ-Route war allerdings zu keinem brauchbaren Ergebnis gekommen.

Wiederaufnahme der Bauarbeiten

2010 beschloss daher die Nachfolgeregierung unter Manmohan Singh, den ursprünglichen Plan wieder in Kraft zu setzen. Das bedeutete allerdings, dass sich Hauptkontraktor Afcons Infrastructure Limited dem Problem, welches den Stop der Arbeiten verursacht hatte, erneut zuwenden musste: Einer hinreichend sicheren Gründung des gewaltigen Hauptbogens der höchsten Eisenbahnbrücke der Welt auf halber Höhe der steilen und hochgradig instabilen Bergflanken.

Einzige Chance, das zu erreichen, war das bis dahin Undenkbare in Angriff zu nehmen: Die obersten schluffigen Geröllschichten der Schlucht mit Neigungswinkeln zwischen 43 Grad und 77 Grad mussten zunächst so weit abgetragen werden, bis man man auf Gesteinsschichten mit einigermaßen befriedigender Kohäsion stieß. Anschließend würde man diese mit einer künstlichen Deckschicht verfestigen, auf der wiederum die beiden Widerlager des geplanten 467-Meter-Bogens sicher ruhen könnten.

Striptease zweier Berghänge

Fundament der höchsten Eisenbahnbrücke der Welt
50 Meter breit und 40 Meter hoch: die Fundamente des Hauptbogens haben abnorme Abmessungen © Building The Great Himalayan Railway; Ministry of Railways

Das bedeutete am Ende den Abtrag von insgesamt rund acht Millionen Kubikmetern Bodenmaterial! Zuvor war allerdings nötig weit über 26 Kilometer Zufahrtsstraßen anzulegen, um mit schwerem Gerät überhaupt bis dorthin vordringen zu können. Im Frühjahr 2013 begannen die Arbeiten. Von oben nach unten in Schichtstärken zwischen drei und fünf Metern terrassenweise voranschreitend, wurden auf beiden Seiten der Schlucht mehrere Meter der Böschung abgetragen. Rund eineinhalb Jahre nahm allein dieser Arbeitsschritt in Anspruch.

Nach einer weiteren Verfestigung des Untergrunds durch zahlreiche mit Spezialzement verpresste Injektionsbohrungen wurden mehrere hundert zwischen 30 und 40 Meter tiefe Horizontalbohrungen für den entscheidenden nächsten Schritt in den Berg getrieben: den Einbau der Stabanker des Spezialisten Dywidag. Mit entsprechender Vorspannung versehen, dehnen sie sich tief im Fels aus, um dort sicheren Halt zu finden. Damit ihr dauerhafter Korrosionsschutz gewährleistet werden konnte, entschied Dywidag, die Stabanker in einer Feldfabrik direkt auf der Baustelle zu produzieren. Mehr als 10 Kilometer Stabanker sowie Lagerplatten, Ankerkappen, Muttern, Rohre wurden an beiden Hanglagen verbaut.

Den Abschluss der Böschungsstabilisierung bildete das Aufbringen einer durch Stahlmatten armierten Deck­­schicht aus Spritzbeton. Auf die­­ser Grundlage konnte schließlich der Bau der rund 50 Meter breiten Fundamente der Bogenkons­truktion und der Hauptpylone für die höchste Eisenbahnbrücke der Welt erfolgen, die schließlich 2017 fertiggestellt wurden.

Gardemaße für die höchste Eisenbahnbrücke der Welt

Arbeiter auf der Seilbahn
Luftiger Arbeitsplatz in mehr als 400 Metern Höhe: Eine der Quertraversen des Skytrucks CC Ojhayogesh; Wikipedia

Nach dem massiven Abtrag der Hänge waren auch im Detail die Maße klar: Die eigentliche Hauptbrücke sollte nunmehr in einem Bogen mit 480 Metern Radius über eine Distanz von 467 Metern über die Chenab-Schlucht geschlagen werden. Daraus resultierend ergibt sich zwischen den beiden Hauptpylonen eine Länge der Konstruktion von 505 Metern. Im Westen schließt sich daran eine 650 Meter lange, im Osten eine 160 Meter lange als Balkenkonstruktion ausgeführte Vorlandbrücke an. Die Gesamtlänge der Brücke erreicht dadurch 1.315 Meter.

Bei dem Abschnitt über dem Abgrund tragen die als Durchlaufträger ausgeführte 17 Meter breite Fahrbahn auf dem Obergurt aufgeständerte, bis zu 130 Meter hohe Stahlfachwerkpfeiler. Ausgelegt ist das Bauwerk für eine Fahrgeschwindigkeit von maximal 100 Kilometern pro Stunde.

Die Höhenangabe des Bauwerks von 359 Metern über Grund weicht von international gängigen Standards ab. Wird bei einem überquerten Gewässer normalerweise dessen mittlerer Wasserpegel herangezogen, führt das in diesem Fall in die Irre. Unterhalb der Weltrekordbrüche wird der Chenab nämlich in der engen Schlucht durch den Salal-Stausee auf eine Höhe von 37 Metern gestaut. Deshalb bezieht sich die Höhenangabe hier, um eine Vergleichbarkeit sicherzustellen, auf das Flussbett.

Seilbahn der Superlative für die höchste Eisenbahnbrücke der Welt

Bogenmontage der höchsten Eisenbahnbrücke der Welt
Hauptpylone und Bogen mit einer ersten Abspannung im November 2019 © Highest Bridges

Eine der entscheidenden Vorleistungen für den weiteren Fortgang der Bauarbeiten unterdessen sah zu Beginn dieser Arbeiten noch ihrer Fertigstellung entgegen: der von der Südtiroler Firma Seik verantwortete Aufbau zweier „Skytrucks“ genannter, parallel verlaufenden Materialseilbahnen. Mit einer maximalen Nutzlast von jeweils 20 Tonnen funktionieren beide Bahnen letztlich wie ein Traversenkran. Nur dass dieser eben nicht auf Schienen, sondern auf jeweils zwei doppelten, parallel geführten armdicken Stahltrossen verfahren wird, die sich von der östlichen Talseite bei Kauri zur westlichen Talseite bei Bakkal spannen.

Über vier 100 bzw. 120 Meter hohe und 50 Meter breite V-förmige Seilbahnstützen geführt, erstrecken sich diese in einer Höhe von bis zu 450 Metern 915 Meter weit über die Schlucht. Mit jeder Traverse wandert dabei bereits ohne Last ein Gewicht von insgesamt 160 Tonnen über den Chenab. Beide Maschinen verfügen über einen Dieselantrieb und können für den Transport besonders schwerer Bauteile bei Bedarf gekoppelt werden. So erreichen sie eine maximale Traglast von dann 34 Tonnen. Um einen bestmöglichen Blick auf die Hakenposition der in der Traverse verfahrbaren Laufkatze zu gewährleisten, fährt bei jedem Skytruck der Kranführer in einer Kabine mit.

Zunächst vor allem für den Transport von Beton und Armierungsmaterial im Einsatz, stellte der Skytruck seinen wahren Wert erst mit Montagebeginn der Stahl­konstruktion unter Beweis. Präzise können mit seiner Hilfe sämtliche Bauteile bis zu 180 Meter abwärts in ihre vorgesehene Einbauposition manövriert werden.

Der Bau tritt in seine heiße Phase ein

Bogenbrücke zwischen Bakkal und Kauri im Bau
Die östliche Hangseite der Schlucht mit dem abgespannten, weit fortgeschrittenen Bogen der Chenab-Brücke © Skysrapercity

Aufgrund der schlechten verkehrsmäßigen Erschließung der Region und der Beschränkung der maximalen Länge aller zu liefernden Materialien auf zwölf Meter hatte sich Afcons für Fertigung sämtlicher Teile direkt vor Ort in mehreren temporären Fertigungsstraßen entschieden. Aufgrund der schwierigen Geländebedingungen war dies auf der westlichen, Bakkal zugewandten Seite der Schlucht allerdings nur in beträchtlicher Entfernung von der eigentlichen Abbruchkante möglich.

Das erforderte, um die dort gefertigten Teile in ihre Einbauposition bzw. in den Aktionsradius der Seilbahn zu manövrieren, eine vorgezogene Fertigstellung der hier vorgesehenen Vorlandbrücke. Darum war die Fertigstellung der dazu nötigen Betonpfeiler in die Frühphase des Bahnbaus efolgt. Nach Wiederaufnahme der Bauarbeiten verließen die Fertigungshalle auf dieser Seite der Schlucht daher zunächst der stählerne Überbau dieser Brücke, der sektionsweise über die Pfeiler hinweg in Richtung der Schlucht vorgeschoben wurde.

Im Laufe des Jahres 2017 setzte nach Abschluss dieses Bauabschnitts dann zunächst die Montage des auf der westlichen Seite 127 Meter und auf der gegenüberliegenden Seite 105 Meter hohen Hauptpylons ein. Nach deren Fertigstellung begann ein Jahr später schließlich die heiße Phase der Bauarbeiten: die Montage des gewaltigen Bogens – ohne die Hauptpylone ein aussichtsloses Unterfangen. Denn seine Errichtung konnte nur durch Unterstützung einer über genau jene Pylone geführte Hilfsabspannung in einer zurückgehängten Freivorbaumethode erfolgen. Anders als bei einer Hängebrücke, bei der das Tragwerk sich bereits während seiner Errichtung selbst trägt, muss es bei diesem Brückentyp bis zur Vollendung (dem Bogenschluss) durch Stahltrossen gesichert werden.

Rendezvous in der Mitte des Abgrunds

Bogenschluss der höchsten Eisenbahnbrücke der Welt
Der Bogenschluss erfolgte bei der Chenab-Brücke über den Untergurt © Afcons

Dieser höchst anspruchsvolle Bauabschnitt fand am 8. April 2021 sein Ende. Afcons konnte den Lückenschluss des Bogens über den Untergurt vermelden. Vor Einbau des letzten Segmentes im Obergurt sorgte eine Justierung durch Hydraulikpressen für die Einstellung der gewünschten Geometrie um so einen idealen Kräfteverlauf sicherzustellen.

Von diesem Zeitpunkt an konnte die Bogenkonstruktion als selbsttragend gelten. Das war die entscheidende Vorbedingung für den sukzessiven Rückbau sämtlicher Abspannungen. In der Folge war zudem die sukzessive Errichtung der aufgeständerten Stahlfachwerkpfeiler möglich, die im Endzustand das Brückendeck tragen werden.

Selbiges besteht aus 93 Brückensegmenten die jeweils ein Gewicht von rund 85 Tonnen aufweisen. Sie wurden nach Fertigstellung des Tragwerks von beiden Seiten des Tals aufeinander zugeschoben. Am Samstag 13. August 2022 war es soweit: Der “Golden Joint“ zur Verbindung beider Teile der Oberkonstruktion wurde eingebaut.

Die höchste Eisenbahnbrücke der Welt zur Erschießung des Kashmir

Mit Fertigstellung der Chenab Bridge ist das größte Hindernis für die Neubaustrecke ins Kashmir beseitigt. Auf der 297 Kilometer langen Fahrt von Jammu nach von Baramulla werden die Fahrgäste auf dem 111 Kilometer langen Abschnitt Katra-Banihal allerdings nur äußerst begrenzt etwas von der grandiosen Landschaft zu sehen bekommen: Allein auf dieser Teilstrecke verlaufen die Gleise in 27 von insgesamt 38 Tunneln und damit über eine Länge von 97 Kilometern unterirdisch durch das mächtige Pir Panjal.

Hinzu kommt auf dieser Etappe noch die Zahl von insgesamt 37 Haupt- und Nebenbrücken mit einer Gesamtlänge von 13 Kilometern, was unmittelbar vor Augen führt, welch immense Herausforderung hier bewältigt wurde. So wundert es kaum, dass der nördlichste Zipfel des 64.374 Kilometer umfassenden indischen Eisenbahnnetzes als sein mit Abstand teuerster Abschnitt in die Geschichte eingehen wird.

Seitliche Ansicht der höchsten Eisenbahnbrücke der Welt
Die höchste Eisenbahnbrücke der Welt ist eine Bogenbrücke. Blick von Norden © Indian Railways Civil Engineering Portal

Technische Daten der Chenab Bridge:

Gesamtlänge: 1315 m
Länge Mittelfeld: 505 m
Länge Vorfluter: 650 + 160 m
Höhe über dem Flussbett: 359 m
Bogenspannweite: 467 m
Bogenradius: 480 m
Breite Bogen-Untergurt: 30 m
Breite Überbau: 17 m
Bogenschluss: 8. April 2021
Lückenschluss Überbau: 14. August 2022
Gesamtkosten: 1.450 Mill. €